Gesichter des BJL: Anja Hradetzky

Was zeichnet die Menschen in den Betrieben beim Bündnis Junge Landwirtschaft aus? Wie sind sie in die Landwirtschaft eingestiegen, was bringt ihnen Freude und was fordert sie heraus? Im Rahmen einer Interviewreihe sprechen wir mit unseren Mitgliedern über ihren Alltag und ihre Visionen. Diesmal mit Anja Hradetzky vom Hof Stolze Kuh.

25.10.2021

Gesichter des BJL: Anja Hradetzky

Zusammen mit ihrem Mann Janusz führt sie seit 2014 einen bäuerlichen Milchviehbetrieb am Nationalpark Unteres Odertal, wo sie die Prinzipien der wesensgemäßen Tierhaltung umsetzt. Alle Rinder bleiben ganzjährig auf der Weide, werden auch dort gemolken und geschossen und die Kälber werden nicht von den Müttern getrennt. In der hofeigenen Käserei wird die Milch handwerklich verarbeitet. 

Anja, wie bist du Bäuerin geworden?

Oh, das war ein längerer Weg. Darüber habe ich ein ganzes Buch geschrieben. Ich wuchs in Sachsen auf und meine Familie hatte nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Auf einem Seminar im Rahmen vom Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) habe ich zum ersten Mal behornte Rinder gesehen und studierte später Ökolandbau in Eberswalde. Davor hatte ich schon viel mit Pferden zu tun und es war mir klar, dass ich einen Hof gründen möchte. Nach dem Studium war ich 2,5 Jahre unterwegs, unter anderem in Nordamerika, wo ich „Low Stress Stockmanship“ gelernt habe – eine Methode, die es ermöglicht, Rinder stressarm zu bewegen.

Wie lief die Hofgründung?

Janusz und ich sind nach Stolzenhagen aufs Dorf gezogen, welches an den Nationalpark angrenzt.  Ein Stall vom örtlichen Landwirt stand leer, den konnten wir pachten und für unsere Zwecke baulich anpassen. Pachtland gabs von der Nationalparkstiftung Unteres Odertal und los gings! Die ersten Hektar waren 30 km weit entfernt und auch heute fahren wir zu den verstreuten Weide- und Ackerflächen mit dem Auto und Trecker. Das meiste Land in der Umgebung wurde schon an andere Landwirt:innen vergeben und wir mussten das nehmen, was übrig blieb.

Wir hatten kein Kapital. Um die ersten Kühe zu finanzieren,  haben wir „Kuhanteile“ ausgegeben, sodass Menschen sich am Hof beteiligen konnten. Das war sehr beliebt und wir haben schnell viel Geld zusammenbekommen. Für den Aufbau der Käserei starteten wir eine Crowdfunding Kampagne, die auch sehr erfolgreich lief. Ich bin davon überzeugt: Wenn du eine gute Idee hast, dann findest du immer Geld für die Umsetzung. 

Was sind die Besonderheiten der Beweidung von Naturschutzflächen?

Wir wirtschaften in einem einzigarten Biotop, wo Rinder und Biber Hand in Hand arbeiten. Da die Bewirtschaftungsauflagen sehr hoch sind, zahlen wir eine verringerte Pacht. Wir dürfen zum Beispiel erst ab 1. Juli mähen, um die Bodenbrüter nicht zu stören. Das Gras ist dann schon überständig und hat keinen hohen Nährwert mehr. Am Anfang haben wir im Winter das Heu aus diesem Gras gefüttert und die Kühe hatten sofort keine Milch mehr. Daher bewirtschaften wir noch zusätzlich Ackerflächen, auf denen wir Luzerne anbauen.

Der gemachte Hof ist nie da und es gibt immer Herausforderungen, deswegen kämpfen wir als „Bündnis Junge Landwirtschaft“ für den Zugang zu Land, die Junglandwirt:innen-Förderung und initiieren gemeinsam mit Kooperationspartner:innen solche Projekte wie das FÖL-Mentoring-Programm, wo Gründer:innen von erfahrenen Landwirt:innen begleitet werden.

Wie geht es euch als bäuerlicher Milchviehbetrieb in Brandenburg, wo die Infrastruktur eher auf große Betriebe ausgelegt ist?

Natürlich ist es als kleinerer Betrieb inmitten großer Betriebe nicht immer leicht. Wir haben beispielsweise keine Skaleneffekte, weil unsere Arbeitsabläufe wenig mechanisiert sind. Wir sind noch im Aufbau und stecken alles in den Betrieb. Deshalb können wir uns selbst noch nicht entlohnen. Auch die Strukturen bei der Milchvermarktung haben wir kennengelernt: Irgendwann war es für die Molkerei nicht mehr rentabel, eine so geringe Milchmenge bei uns abzuholen.

Darum war es uns wichtig, unabhängiger zu werden, selbst zu verarbeiten und direkt zu vermarkten, um mehr Wertschätzung zu bekommen, ohne dass Natur und Tiere ausgebeutet werden. Ich wünsche mir, dass andere Landwirt:innen unserem Beispiel folgen und auf die wesensgemäße Tierhaltung umstellen, denn nur gemeinsam können wir die Verhältnisse ändern. Dafür haben wir die Interessengemeinschaft „Kalb und Kuh“ mitgegründet, wo momentan 100 Bäuer:innen dabei sind.

Was ist der Unterschied zwischen wesensgemäßen und artgerechten Tierhaltung?

Wesensgemäße Tierhaltung geht weiter als die artgerechte Haltung. Das Wesen der Kuh ist zu grasen, vom Bullen gedeckt zu werden, das Kalb aufzuziehen, sich zu bewegen. Wie alle Lebewesen wollen die Kühe die Sonne sehen und ihre natürlichen Bedürfnisse nachgehen. Deshalb entspricht zum Beispiel die Haltung im Stall mit Silage-Fütterung aus dem Futtermischwagen nicht unseren Idealen. Wir haben deshalb auch unsere Demeter-Mitgliedschaft gekündigt, weil da gerade größere Betriebe mit 300 Kühen aufgenommen werden. Rudolf Steiner sagte, die Kuh soll selbst ihr Futter suchen, damit sie das aufnehmen kann, was sie braucht. Es ist aber lukrativer, wenn eine hochgezüchtete Holstein-Kuh im Stall aufbereitetes Futter frisst, damit sie mehr Milch gibt und die Kälber müssen weg, damit mehr Milch für den Menschen bleibt.

Wir erklären oft, warum unsere Milch doppelt so viel kostet als bei anderen Biohöfen. Das können wir in der Direktvermarktung durch die Kundennähe. Wenn wir über den Handel gehen würden, wäre es schwieriger: Wenn auf unserem Etikett „Kälber bleiben dabei“ steht, heißt das automatisch, dass sie bei den anderen Betrieben weggenommen werden. Das ist für Ladner:innen nicht so leicht zu kommunizieren.

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

Wir wollen wieder kleiner werden und regenerative Landwirtschaft mit Baumpflanzungen betreiben. Das geht nur auf Eigenland und wir werden dafür umziehen müssen, da sich rund um Stolzenhagen keine Perspektive abzeichnet. Wir suchen nach einem eigenen Hof mit Land zum Kauf. Das ist nicht so einfach, da die Landpreise massiv angestiegen sind. Wir konkurrieren auch mit außerlandwirtschaftlichen Investor:innen, die das Land als Geldanlage und Renditeobjekt nutzen.

Was gibt dir Kraft?

Ich liebe meine Kühe und melke gern, das ist meine Arbeitsmeditation. Und auf dem Rücken meines Pferdes über die Weiden zu streifen ist für mich immer wieder ein Moment, der mich auflädt.